Lohn der Mühe

Wo bleibt der Lohn für meine Mühe?

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg.

«Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit seinen Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Wein­berg; ich will euch geben, was Recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.

Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fange an bei den Letzten bis zu den Ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Ober habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin? So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.» Matthäus 20,1-16

Jesus beschreibt eine Situation, wie man sie zu bestimmten Zeiten in Palästina häufig antraf. Der Wein reift in dieser Gegend Ende September. Unmittelbar danach beginnt es oft stark zu regnen. Die Ernte musste also vor diesen Regengüssen eingebracht werden, da sonst ein Teil zerstört wurde. Die Weinlese ist ein Wettlauf mit der Zeit. Jeder Arbeiter ist hochwillkommen, selbst wenn er nur in der letzten Stunde mithilft. Es geht in diesem Gleichnis um eine auch für uns zeitgemäße Auseinandersetzung. Das ist uns allen vertraut: Arbeitsmarkt, Arbeitslose, Unternehmer, Stundenlöhne, Arbeitsverträge und Tarifverhandlungen.

Mehr als seltsam scheinen uns wenigstens bei oberflächlicher Betrachtung die Spielregeln in diesem Arbeitsverhältnis. Das gäbe heute Opposition und Krawalle, wenn sich ein Arbeitgeber so verhalten würde! Erzielte man keine Einigung, gäbe es mit Sicherheit Streiks. Keiner würde mehr arbeiten. Das wäre ja noch schöner, im Morgengrauen aufzustehen, den ganzen Tag in der Hitze zu arbeiten und schließlich die genau gleich dicke Lohntüte zu bekommen wie jene, die nur eine Stunde geschwitzt hatten!

Der Sonnenaufgang findet in dieser Gegend um sechs Uhr statt, ein Arbeitstag dauert bis abends sechs Uhr. Die dritte Stunde war morgens um neun Uhr, die elfte Stunde abends um fünf.

GLEICHNISSE – BILDER, DIE EINE WAHRHEIT ILLUSTRIEREN

Gleichnisse sind Bilder, die eine bestimmte Sache, eine Wahrheit verdeutlichen sollen. Der springende Punkt ist eingewoben in eine Erzählung, die ihn anschaulich macht. Wir müssen uns deshalb davor hüten, jedes Detail deuten zu wollen. Gleich zu Beginn machte der Herr klar, worum es ging: «Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn ...» Anlass für dieses Gleichnis gab eigentlich der reiche Jüngling aus Matthäus 19 und die Frage des Petrus in Vers 27: «Da sprach Petrus zu Jesus: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was wird uns dafür gegeben?» Petrus fragte nach dem Lohn für die Arbeit und das Opfer, das die Jünger gebracht hatten, als sie ihren gelernten Beruf aufgaben. Jesus beantwortete die Frage in Vers 28: «Wahrlich, ich sage euch, ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet in der Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf zwölf Thronen und richten die zwölf Stämme Israels. Und wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlässt um meines Namens willen, der wird es hundertfach empfangen und das ewige Leben ererben. Aber viele, die Erste sind, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein.»

Was für eine Verheißung! Doch da war in der Frage des Petrus ein falscher Unterton, eine falsche Gesinnung: «Was bin ich dir wert? Lohnt es sich überhaupt, dir nachzufolgen? Was bekomme ich für meine Mühe?»

Die Jünger hatten noch nicht begriffen, dass mit dem Kommen des Gottessohnes eine neue Zeit angebrochen war. Nicht mehr der Gesetzesbund war gültig für die Menschen, die zu Gott gehörten, sondern der Gnadenbund wurde eingeläutet. «Auge um Auge, Zahn um Zahn» wurde abgelöst durch: «Wenn jemand dich auf die rechte Backe schlagen wird, so biete ihm auch die andere dar.»

Noch sahen die Jünger wie durch einen Spalt in die neue Wirklichkeit. Der Meister sprach oft davon, aber sie hatten es noch nicht mit dem Herzen begriffen. Zuerst musste das Kreuz und die Auferstehung geschehen, bis die Jünger wahrhaft verstanden, was Gnade ist.

EINE KLARE VEREINBARUNG

Die Arbeiter im Weinberg lassen sich in zwei Gruppen gliedern: Die ersten gingen mit dem Hausherrn eine klare Vereinbarung ein. Sie wussten, was sie taten und was sie dafür erhielten. Einen Tag für einen Silbergroschen. Das war der vereinbarte Lohn. Der Lohn entsprach ihren Vorstellungen, sonst wären sie nicht darauf eingegangen.

Alle anderen Arbeiter, die später dazukamen, hatten keine vertragliche Vereinbarung. Er sprach zu ihnen: «Geht auch ihr hin in den Weinberg, ich will euch geben, was Recht ist.» Diese Männer waren ganz einfach dankbar, bei diesem Arbeitgeber arbeiten zu dürfen. Sie überließen es ihm, sie nach seinem Belieben zu entlohnen. Sie vertrauten, und deshalb stellten sie keine Forderung.

Der Aufruhr kam abends. Nachdem alle entlohnt worden waren, machten sich Unzufriedenheit und Missstimmung breit bei denen, die den ganzen Tag im Weinberg gearbeitet hatten. Wären die andern nicht gewesen, sie wären vollständig zufrieden heimgegangen. Nun aber waren andere da, die ihrer Meinung nach den Lohn völlig willkürlich und unverdient bekamen. Sie konnten sich eigentlich nicht beklagen, hatten sie doch bekommen, was sie verlangt hatten. Der Arbeitgeber hatte den Lohn nicht gedrückt. Ihre Unzufriedenheit kam aus dem Vergleich.

Sie wogen ihren gerechten Lohn für die Tagesmühe mit dem unverdienten, überreichlichen Geschenk, das der Hausvater denen gab, die nichts gefordert hatten, sondern ihm vertrauten. Diese falsche Haltung, dieses Werksgerechtigkeits-Denken führt zwangsläufig dort zu Schwierigkeiten, wo dem Menschen Gottes Gnade begegnet.

Gottes Wort enthüllt immer die Einstellung, den Beweggrund für das menschliche Handeln. In Gottes Reich, in seinem Weinberg, gilt ein anderer Maßstab. Es ist der der Gnade, der unverdienten Liebe. Das Motiv des Christen für seinen Dienst darf nicht der Gedanke an den Lohn sein, sondern die Liebe zum «Hausvater», zu Gott.

VERGLEICH FÜHRT ZU NEID

Es geht im Reiche Gottes nicht nach dem Prinzip Leistung—Lohn. Die Antwort des Menschen auf Gottes Gnade, die jedem das zuteilt, was gut für ihn ist, sollte Dank und Hingabe sein. In der Einstellung zum andern offenbart sich das wahre Gesicht. Der Neid verschiebt und verdreht die Sicht. Der Mensch verliert völlig aus den Augen, was er selbst an Gutem bekommen hat. Es wird für ihn zu nichts.

Wer nicht einsieht, dass er von seinem Schöpfer in jeder Beziehung abhängig ist, fordert, was er für sein Recht hält. Hat er denn überhaupt ein Recht? Auf seine Gesundheit? Auf Arbeit? Wohlergehen? Sagt der Ton dem Töpfer, wie er sein Gefäß formen soll, wozu es Verwendung finden muss?

Der von Gott abhängige Mensch weiß, dass letztlich alles Geschenk ist. Sein Dienst im Weinberg des Herrn ist Dank für die Erlösung, für die Freiheit, die Gewissheit des ewigen Lebens.

Die Sicht auf sich selbst macht selbstsüchtig. Es ist die Sucht nach Anerkennung und Bewunderung. Die Sicht auf sich selbst suggeriert, man komme zu kurz. Es kommt zum Vergleich. «Weshalb geht's dem finanziell besser als mir?», «Wieso hat jener eine schönere Frau?», «Weshalb kann mein Kollege besser reden und diskutieren als ich?», «Wieso kann der sich ein teureres Auto leisten?», «Warum ist er beliebter, erfolgreicher?», «Weshalb komme ich zu kurz?» Das ist nicht recht!

SELBSTSUCHT FÜHRT ZU SELBSTMITLEID

Der Mensch sucht nach Bedeutung. Weil er sie durch die Sünde verloren hat (Römer 3,23), ist er so begierig, im Mittelpunkt zu stehen. Die Arbeiter im Gleichnis unterstellten mit ihrer Haltung dem Hausvater, er schätze sie zu wenig und ziehe die andern vor. Selbstsucht führt zu Selbstmitleid, einer der häufigsten Gründe für Depressionen. Die Nabelschau bewirkt auch Geringschätzung und Verachtung gegenüber dem Nächsten und lebt von falscher Erwartung. Als die letzten Arbeiter einen Silbergroschen bekamen, erwarteten die Arbeiter der ersten Stunde gegen die Abmachung mit der größten Selbstverständlichkeit elfmal mehr. Biblische Erwartung ist lebendige Hoffnung, Gewissheit, dass Gott handeln wird. Natürliche, menschliche Erwartung ist biologische Erwartung, wie die Katze vor dem Mausloch sitzt und instinktiv erwartet, eine Maus würde herauskommen. Jeder Mensch hat bestimmte Erwartungen an das Leben und in bestimmten Situationen.

Ich denke in diesem Zusammenhang auch an eine junge Frau. Sie war über zehn Jahre auf dem Missionsfeld gewesen. Nun war sie wieder in Europa und wünschte sich sehnlichst einen Mann und Kinder. Der Wunsch war durchaus verständlich und legitim. Aber mit ihrer Gesinnung stimmte etwas nicht. Sie war identisch mit der von Petrus, als er sich nach seinem Lohn für die Mühe erkundigte. Es war kein Wunsch, sondern eine Forderung, ein wie sie insgeheim meinte, berechtigter Anspruch. Zwölf Jahre auf dem Missionsfeld, viel Mühe und Entbehrung, viel Verzicht und Opfer. Stand ihr da nicht eine Familie zu? Vermutlich war ihr gar nicht bewusst, dass sie ein Geschäft mit Gott machen wollte. Falsche Erwartungen sind immer mit Enttäuschungen verbunden. Liebe Freunde, wir bilden uns doch immer wieder mit sturer Beharrlichkeit ein, dieses oder jenes sei notwendig zu unserem Glück. Sind die Umstände nicht so, wie wir dies erhofften, gehen unsere Wünsche nicht nach unserem Kopf in Erfüllung, machen wir Gott, wenn nicht verbal, so doch mit unserer Unzufriedenheit Vorwürfe.

Wir stehen immer in Gefahr, zu vergleichen und falsche Erwartungen zu hegen. Erst wenn wir tief in unserem Herzen begriffen haben, dass wir bei Gott nicht zu kurz kommen, hören wir auf, unsere vermeintlichen Bedürfnisse selbst befriedigen zu wollen. Denken wir an die ersten Menschen. Sie litten in keiner Weise Mangel. Geborgenheit, Sinn und tiefe Zufriedenheit prägten ihr Leben. Doch dann hörten sie auf den Versucher, der ihnen suggerieren wollte, Gott würde ihnen das wahre Glück vorenthalten. In einem unbedachten Augenblick verloren sie alles Wesentliche.

DIE RICHTIGE SICHT

Wie befreiend, wenn wir die Dinge richtig sehen, im rechten Licht. Wenn unser Leben «durchsichtig» wird, wer­den die Motive und Beweggründe klar. Wenn wir selbst Schuld in unserem Denken und Handeln erkennen, be­ginnen wir zu begreifen, dass wir selbst das Problem sind, nicht, wer der andere ist und was er allenfalls hat. Gott hat uns geschaffen mit einer einzigartigen Persönlichkeit. Kein Mensch auf der ganzen Welt ist uns gleich. Jeder von uns hat seine Besonderheiten und Gaben. Wir sind ein Gedanke Gottes, gewollt und geliebt. Diese Liebe zeigt sich in seinem Sohn Jesus Christus. Er starb für uns, damit wir frei sein dürfen von Schuld, gerecht vor dem heiligen Gott. Was für ein Geschenk! Sollte die Hingabe unseres Lebens an diesen Herrn nicht selbstverständlicher Dank sein für seine Liebe? Es ist ein Vorrecht, Mitarbeiter an seinem ewigen Reich zu sein.

Gottes Reich unterscheidet sich grundsätzlich von allen andern Reichen. Deshalb sollten wir die berechnende Haltung ablegen. Wir haben überhaupt kein Anrecht auf irgendetwas. Man kann mit Gott keine Geschäfte machen.

Natürlich leisten einige Christen mehr als andere. Sie kamen vielleicht schon in jungen Jahren zum Glauben. Der eine ist stärker und trägt größere Verantwortung. Der Schwächere ist weniger belastbar. Wenn Gott mehr von dir verlangt, rüstet er dich auch aus, damit du ihm besser dienen kannst und ihn damit ehrst.

ALLES IST GNADE

In Gottes Buchführung heißt es: Alles ist Gnade. Wir sind durch den Glauben gerettet, aus Gnade und nicht aus eigenen Werken. Es ist ein Vorrecht, Gottes Kind heißen zu dürfen. Was für eine Möglichkeit, den Herrn schon als junger Mensch kennenzulernen und nicht erst mit 70, wenn die Kräfte nachlassen, um Mitarbeiter in seinem Weinberg zu sein. Gott schenkt zwar allen, die das Angebot in seinem Sohn annehmen, das ewige Leben, ob ein Mensch früh oder spät zu ihm kommt. Das heißt aber nicht, dass man die Entscheidung auf die lange Bank schieben darf. Keiner weiß, ob ihn der Weingärtner in der elften Stunde noch ruft oder ob er bereits taub geworden ist für dessen Stimme

Wer erst im Alter zum Glauben gekommen ist, sollte nicht resignieren, sondern dankbar sein. Auch die Arbeit «der letzten Stunde» zählt. Mit Paulus dürfen Sie sagen: «Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt, und jage auf das Ziel zu, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben durch Jesus Christus» (Phil. 3,13-14).

Der Herr möchte uns ins Herz schreiben: Das Leben als Christ beginnt mit der Gnade durch den Glauben an Gottes Sohn und endet mit der Gnade. Das ist das Geheimnis. Dieses Wissen bewahrt uns vor dem Vergleichen. Es verhindert Selbstsucht und lässt uns handeln, bis er wiederkommt.

Quelle: ethos 10/2013